»Polarität in meinem Leben«

  1. Zunächst sehe ich in rascher Abfolge Bilder aus den Anfängen meine imaginativen Arbeit. Dann sehe ich trübes Wasser und tauche in größere Tiefen ab (ins Unbewusste). Ruhe, Schutz und Aufgehobensein spüre ich.
  2. Ein großer Festsaal taucht auf. Es herrscht reges Treiben. Ich sitze auf einer Bank an der Spitze einer endlos langen Tafel. Rechts und links hat die Bank ausladende Flügel. Wie die Tragflächen eines Flugzeugs halten sie mich im Gleichgewicht zwischen den Polen, die durch die beiden Tischseiten vertreten sind. Menschen nehmen an der langen Tafel Platz. Die, die sich unmittelbar gegenüber sitzen, bilden ein ambivalentes Paar.
  3. Vom Ende der Tafel her, kommt ein sehr selbstsicherer, aggressiver und kriegerischer Mann. Er wirkt plump und derbe, wie ein Urgermane. Er spaltet den Tisch mit seinem Schwert ganz gerade in eine rechte und eine linke Hälfte. Die Sitzenden sind erschrocken. Noch ganz außer Atem, steht der Mann in froher Erwartung vor mir und will für seine „Klarheit“ gelobt werden.  Ich bin wenig begeistert von seiner „Tat“ und lobe nicht. Er ist verwirrt. Klarheit ist natürlich erstrebenswert, doch sie entsteht aus Entscheidung, nicht aus Spaltung.
  4. Ebenfalls vom nicht sichtbaren Ende der Tafel her, kommt anschließend eine helle Jesusgestalt, schwebend über den Tisch und fügt die gespaltene Tafel wieder zusammen. Er stellt sich hinter mich. Die Gäste an der Tafel unterhalten sich aufgeregt. Die vielen Stimmen bilden einen lauten, hallenden Hintergrund. 
  5. Nun geht es darum, dass die gegenübersitzenden Paare, miteinander reden, sich die Hände reichen und auf diese Weise in Verbindung treten. Mir kommt es wie eine Zeremonie vor, die die bissig, unklare Grundspannung zwischen den Polen aufhebt. Das Ganze bekommt eine rollende Dynamik. Sobald sich ein „Paar“, das mir am dichtesten sitzt, die Hände gereicht hat, steht es auf und verschwindet im Hintergrund. Das nächste Paar rückt nach und vollzieht die gleiche Zeremonie. So sind alle Gäste in ständiger Bewegung und mit Aufrücken und Hände reichen beschäftigt. Zuerst saßen nur Männer einander gegenüber, dann nur Frauen (Mann und Frau bildeten kein Gegenüber, so wie ich es erwartet hätte). Die Männer wirkten dunkler, die Frauen heller. Schließlich waren alle Paare versöhnt, die Tafel war leer und verschwand.
  6. Zum Schluss kommen der Kuttenmensch und das Rumpelstilzchen Hand in Hand in den Festsaal. Sie sind stolz, dass sie einander gefunden haben. Beiden waren mir bereits in früheren Imaginationen begegnet.

Was mir die inneren Bilder sagen:

Mir scheint, als würde sich die Polarität in dieser Imagination von zwei Seiten zeigen. Einmal begegnet sie uns in äußeren Gegensätzen, und einmal im Gegensätzlichen in uns selbst. Die Polarität im Außen wird durch die Menschen symbolisiert, die an der Tafel Platz nehmen und sich gegenüber sitzen, die Polarität im Innen durch die beiden Umgehensweisen mit diesen Menschen, symbolisiert zunächst durch den Urgermanen und anschließend durch die Jesus Gestalt. Die erste Möglichkeit führt zu noch mehr Spannung, die zweite baut sie ab. Wie mein Leben verläuft, hängt also davon ab, von welchem Pol ich in mir Gebrauch mache, ob ich der Welt mit Aggression und Gewalt oder mit Liebe und Barmherzigkeit begegne. Der Urgermane steht für Aggression und Gewalt, die Jesusgestalt für Liebe und Versöhnung. Beide Seiten kenne ich in mir. Die des Urgermanen verlockt, weil sie eine schnelle Lösung suggeriert. Die Seite der Jesusgestalt scheint mehr Zeit und Geduld zu erfordern, denn ist sie wohl die Seite, die auch andere Menschen an mir schätzen.

Der aggressive Urgermane will mit aller Gewalt die Pole voneinander trennen und glaubt dadurch klare Verhältnisse und ein gutes Werk zu vollbringen. Er verursacht damit aber mehr Unruhe und Verwirrtheit, als ohnehin schon da ist. Aggression und Gewalt lösen die Pole also nicht auf, sondern verstärken das äußere Spannungsfeld nur noch mehr. Die andere Seite, die liebevolle und verzeihende Jesusgestalt, trägt dagegen zur Versöhnung der Gegensätze bei. Das Reden der Menschen miteinander und das gegenseitige Zureichen der Hände, hebt die Gegensätze auf. Die Menschen erheben sich von der Tafel und gehen weg. Nachdem alle Spannung aufgelöst werden konnten, ermöglicht das sogar, dass auch zwei abgespaltene Gegensätze in mir zur beidseitigen Freude wieder zusammenfinden können (der Kuttenmensch und das Rumpelstilzchen).

Das Unbewusste spricht sehr klare Worte. Seine Weisheit ist einfach und einsichtig. Sie lautet: Praktiziere Aggression und du vermehrst die Aggression in der Welt, praktiziere Frieden und du vermehrst Frieden in der Welt. Es ist daher abstrus für einen ersehnten Frieden in den Kampf zu ziehen, so wie es im Weltgeschehen oft propagiert und anschließend gerne noch belohnt wird. So funktioniert die Welt nicht. Selbst die Logik des Verstandes müsste misstrauisch werden, wenn man ihr ein Naturgesetz „verkaufen“ möchte, das lautet: Sähe Aggression in der Welt und du erntest ewigen Frieden. – Willkommen im Lügen-Kabinett.

Werte für unser Leben