»Zum Land der Offenheit«

Offenheit ist eine innere Haltung, die dem Leben die Türen öffnet. Sie kann das Eigene und das Fremde zulassen und damit das Wesen oder das Wesentliche zur Entfaltung bringen. Es mag verwundern, dass dabei kein Chaos, sondern eine lebenswerte Welt entsteht. Davon sprechen die inneren Bilder. Sie ermutigen uns, der Welt und uns selbst offen zu begegnen.

Offenheit ist der Wert, auf den sich der Enneagramm-Typ 5, der »Beobachter«, besonders ausrichten sollte, wenn er seine Persönlichkeit weiten möchte. Von den KOPF-Typen 5, 6 und 7 setzt er seinen Verstand am stärksten ein und vernachlässigt dabei seine Gefühle. Offenheit kann ihm den verlorenen Zugang zu den Gefühlen wiedergeben und damit die ersehnte Orientierung für sein Leben schenken. – Von der Wertgestalt der »Offenheit« ließ ich mich »Ins Land der Offenheit« führen und erkannte, welchen Wert die Offenheit gerade für die Menschen hat, die Sicherheit in logischen Zusammenhängen suchen, weil Gefühle sie verwirren und ängstigen:


Die Gestalt der Offenheit

Ich ließ die Gestalt der Offenheit kommen. Die Kontaktaufnahme war zunächst etwas problematisch, da eine reale Person aus meinem ferneren Bekanntenkreis vor mir stand. Ihre ausgebreiteten Arme signalisierten: „Komm zu mir“. Doch ich wollte nicht auf sie zugehen. Als sie auf mich zukam, fühlte ich mich unwohl. Ihre Nähe hatte etwas erdrückendes und aufsaugendes. Beide Gefühle kannte ich aus dem Kontakt mit der realen Person. Ist das Offenheit?

Meine Begleiterin fordert mich auf nochmals genauer hinzuschauen und mir zu vergegenwärtigen, dass es um die Gestalt der Offenheit und nicht um eine reale Person geht, die mir scheinbar offen begegnet. Jetzt sah ich ein junges Gesicht, mit heller, glatter Haut und blond gewelltem Haar. Ihre runden blauen Augen hatten etwas entspanntes, unaufgeregtes und unaufdringliches, sie wirkten klar, frisch und erfrischend. Ich bemerkte eine Unsicherheit in mir, weil ich diese Qualität der Offenheit nicht kannte. Das Erdrückende und Saugende war weg. Was aber war statt dessen da? Zur Verdichtung des Kontakts reichte ich der Offenheit meine Hände. Die Gestalt freute sich. Ich fühlte mich von ihr eingeladen auch offen zu sein, d.h. mich zu öffnen. Ich ließ ihre Energie in mich einfließen und spürte, dass auch ich nun offener wurde. Was für eine Qualität hatte dieses „offen sein“? Es fühlte sich weder warm noch kalt an. Es war weder Zuwendung noch Abwendung. Auch ein unbeteiligtes „egal“ war es nicht. Dann merkte ich, dass Offenheit ein „lassen“ oder „zulassen“ ist. Jetzt erkannte ich, dass Offenheit Dinge und Menschen dort lässt, wo sie gerade sind, ohne an ihnen zu ziehen oder zu drücken. Dieses „lassen“ oder „zulassen“ wirkte entlastend, entspannend und beruhigend auf mich. Es fühlt sich sehr angenehm und friedvoll an.

Das helle, klare Licht, dass zuvor nur die Gestalt der Offenheit beschien hatte, strahlte nun auch auf mich und hüllte auch mich mit ein. Ich begriff weiter: Die Welt verändert sich mit den Augen der Offenheit. Alles erscheint in einem anderen Licht. Offenheit taucht uns und die Welt in ein anderes Licht. Die Welt erscheint klarer und weiter. Ich spürte, wie eine Schwere von mir wich. Ich fühlte mich nun heller, frischer, leichter und unbeschwerter und auch die Welt erscheinen mir heller, frischer, leichter und unbeschwerter. Einen solchen dramatischen Wandel hatte ich nicht erwartet.

Das Land der Offenheit ist überall

Als ich die Offenheit bat, mich in ihr Land zu führen, lachte sie und sagte: „Es gibt kein Land der Offenheit. Das Land ist überall, wenn du offen schaust“. Mein Blick wendete sich zum Meer. Ich sah eine weite, saubere Landschaft mit einem flachen, feinen und hellen Strand. Klare, weiche Luft umgab mich. Das Wasser wirkte sauber und hatte eine herrlich blaugrüne Farbe. Kleine Wasserwellen rollten auf den feinkörnigen Sand. So muss es in der Karibik sein, dachte ich. Geradezu paradiesisch, nein, vollkommen erschien mir die Welt. Ich fühle eine erfrischende Leichtigkeit in mir aufsteigen. „Wo ist die Schwere“, fragte ich die Offenheit. „Es gibt nichts Schweres, wenn Du offen bist“, sagte sie zu mir. „Wenn Du offen bist, leistest du keinen Widerstand gegen die Dinge. Wenn du die Dinge lässt, wie sie sind, bekommen sie etwas leichtes und unbeschwertes. Das Schwere wird nicht ausgeblendet sondern gewandelt.“ Die Offenheit lachte. Für sie war das nichts Neues, für mich schon. Ich erlebte mich selbst und die Welt so unaufgeregt und in sich ruhend, wie selten. Nichts Schweres war mehr zu spüren. Ich erkannte weiter: Das natürlich angelegte Wesen der Dinge ist gut. Es bedarf der Offenheit, damit es sich entfalten kann. Nun konnte ich loslassen. Aller Stress fiel ab. Nichts trieb, schob oder drückte mehr an mir und auch ich wollte nichts mehr treiben, schieben oder drücken.

Offen durch die Welt gehen

Die Offenheit ging mit mir ein Stück am Strand entlang und ich bemerkte, dass das Licht und die Stimmung unverändert blieben. Die Welt erschien mir unverändert klar, freundlich und weit. Ich spürte eine Stabilität im Außen und erlebte eine Stabilität in mir selbst. Ich ruhte nun in mir und hatte guten Kontakt zum Boden, auf dem ich ging. Ich war geerdet und ging aufrecht. Das Äußere griff mich nicht mehr an, es zog mich nicht mehr weg und ich konnte mich an dem erfreuen, was ich sah. – Leider war es Zeit zurückzukehren. Ich wäre gerne noch sehr viel länger an diesem Ort geblieben.


Welchen Wert hat Offenheit für unser Leben?

Durch Offenheit wandelt sich das Antlitz der Welt. Nicht nur die Welt zeigt sich von ihrer freilassenden Seite, auch wir zeigen uns von unserer freilassenden Seite. Das hat wünschenswerte Folgen. Offenheit entspannt das Dasein und gestaltet das Zusammenleben friedlich. Das Schöne in der Schöpfung kann sich entfalten und die spezifisch menschlichen Haltungen können zur Geltung kommen, also die Werte, die das Leben sinn- und wertvoll machen. Offenheit gibt dem Leben eine erfrischende Leichtigkeit. Sie nimmt das Schwere. Sie befreit von Stress, weil alles so sein kann, wie es ist. Offenheit lässt uns, wie wir sind und sie lässt andere, wie sie sind. Ein lang ersehnter Wunsch kann so in Erfüllung gehen. Wer wünscht sich nicht, so sein zu können und zu dürfen, wie er ist und wie es seinem Wesen entspricht? Und wer möchte nicht in seinem ureigenen Wesen und Wert erkannt werden?

Offenheit bedeutet, die Türen zu öffnen und ggf. auch Fremdes und Ungewohntes in den eigenen Räumen zuzulassen. Das Fremde kann von Außen kommen, es kann auch aus dem eigenen Selbst aufsteigen. Für Menschen, die Angst vor Verletzungen von Außen haben oder sich ihren eigenen inneren Regungen nicht gewachsen fühlen, mag Offenheit ein Wagnis sein. Gerade misstrauische Menschen befürchten, das das Fremde in ihnen oder um sie herum nicht nur Gutes mit sich bringen wird. Wagt aber ein misstrauischer oder verschlossener Mensch sich zu öffnen, kann er Unerwartetes erleben. Für den offenen Menschen scheint sich die Welt zum Guten hin zu wandeln, heißt es in der Wertimagination. Wer offen schaut, sieht die Welt in einem anderen Licht und gibt dem Schweren weniger Raum zur Entfaltung. Wer sich öffnet, leistet keinen Widerstand gegen das, was ist. So verliert sich das Große, Schwere, Störende oder Verletzende im Vorhandenen. Wenn wir die Dinge lassen, wie sie sind, bekommen sie etwas leichtes und unbeschwertes. Die Ambivalenz der Kräfte scheint in den Hintergrund zu treten. Das Schwere wird nicht ausgeblendet sondern wandelt sich zum Leichten. (Was Wandlung genau bedeutet, erfahren Sie hier!)

Da wir in einer polar strukturierten Welt leben können wir niemals nur ganz offen sein und Fremdes wird uns nicht immer nur willkommen sein. Dennoch müssen sich erlebte Verletzungen oder Hilflosigkeit nicht endlos in unserem Leben fortsetzen. Befürchtungen dieser Art haben immer ihre Wurzeln im Zurückliegenden, nie im aktuellem Erleben. Oft sogar in weit zurückliegender Zeit, in der wir tatsächlich hilflos und verletzlich waren. Seit dem haben wir uns verändert. Wir verfügen heute über andere Kräfte als damals, dies nicht nur körperlich sondern auch psychisch und geistig. Das macht den goßen Unterscheid zum damaligen Erleben aus. Wir werden uns des Zugewinns an Kraft und Resilienz nicht bewusst, wenn wir uns nicht offen auf neues Erleben einlassen, an dem wir uns messen können. Offenheit mag im Leben nicht immer vor schlechten Erfahrungen schützen, sie kann uns aber neue Kräfte bewusst machen, die uns früher nicht zur Verfügung gestanden haben. Erst wenn uns diese Kräfte bewusst werden, können wir sie in unser Selbstverständnis integrieren und zuversichtlicher in die Welt blicken.

Vom Wert der Offenheit für den Enneagramm-Typus 5

Das Verstehen von Zusammenhängen suggeriert dem »Beobachter«-Typ Sicherheit und bewahrt ihn vor zu viel Emotionalität. Gefühle erlebt er als unberechenbar, sie überwältigen ihn, sie machen ihm Angst. Und dennoch: Wie jede einseitige Lebensführung, führt das Verstehen von Zusammenhängen allein nicht zu einer tiefen Sinnerfüllung. Zu uns Menschen gehört nicht nur der denkende Verstand, sondern auch das fühlende Herz. Beide Aspekte ergänzen sich zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung und zu einem sinnerfüllenden Leben.

Wer sich öffnet, teilt sich mit, nicht nur gedanklich, sondern auch emotional. Ein offener Mensch schafft damit Verbindungen zu sich, zu anderen und zur Welt auf mehreren Ebenen. Er erlebt sich und die Welt von ihrer beständigen Seite her. Er spürt Stabilität in sich und um sich. Offenheit fordert den »Beobachter«-Typ heraus, sich nicht nur gedanklich, sondern auch emotional auf das Leben einzulassen. Durch Offenheit kann er die Erfahrung machen, dass die Dinge ihrem Wesen nach gut und nicht gefährlich sind. So kann er lernen, sich der Welt auch emotional öffnen und damit ganzheitlicher zu leben.

Werte für unser Leben